Die Gewohnheitsfalle

Die Gewohnheitsfalle schnappt gerne zu, wenn wir vor der Entscheidung stehen, unseren bisherigen Weg weiterzugehen oder einen anderen Weg einzuschlagen.

Die Kernaussage der Gewohnheitsfalle ist: Wir überschätzen systematisch die Risiken, den Aufwand, die Kosten etc. des neuen Weges. Gleichzeitig unterschätzen wir die Nachteile, die uns der bisherige Weg bisher gebracht hat und vermutlich noch bringen wird. Das hält uns in Beziehungen, die längst gescheitert sind oder an Ideen fest, die sich als nicht zielführend erwiesen haben. Unternehmen hält die Gewohnheitsfalle davon ab, neue Wege zu gehen.


Die Gewohnheitsfalle wird auch häufig als „Unterlassungseffekt“ bezeichnet. Angenommen, ein Bekannter von Ihnen kauft sich ein Handy. Er hat von Handys überhaupt keine Ahnung. Deshalb bittet er Sie, ihn zum Handyshop zu begleiten. Sie haben aber weder Lust noch Zeit – und im Moment ohnehin
den Kopf dafür nicht frei. Damit die Sache schnell über die Bühne geht, empfehlen Sie ihm, das erstbeste Handy zu kaufen, obwohl Sie wissen, dass dieses Handy für seine Zwecke völlig überzogen ist.

Eine zweite Variante: Er entscheidet sich ohne Ihr Zutun für dieses Handy. Sie wissen, dass es eine Fehlentscheidung ist, aber Sie reagieren nicht.


Die meisten Menschen fühlen sich bei der zweiten Variante besser als bei der ersten. Wir tendieren dazu, uns eher für das, was wir getan haben, verantwortlich zu fühlen, als für das, was wir unterlassen haben. Auch wenn beide Verhaltensweisen zum gleichen (negativen) Ergebnis führen. Das Phänomen kann man vielfach beobachten – auch bei Ärzten.

Jonathan Baron beschreibt in seinem Buch „Thinking and Deciding“ den Unterlassungseffekt an folgendem Denkmodell:

Ohne Therapie ist eine bestimmte Erkrankung tödlich. Das einzige Medikament, das helfen kann, habe mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% tödliche Nebenwirkungen. Baron meint, dass Ärzte, die vor dieser Situation stehen,
sich schwertun, das Medikament zu empfehlen. Er erklärt das damit, dass sie sich für jeden durch die Nebenwirkungen eingetretenen Todesfall verantwortlich fühlen würden. Wir fühlen uns auch dann bei der Unterlassung einer Handlung besser, wenn das Ergebnis dieser Unterlassung erheblich schlimmer ist als das mögliche Szenario der entsprechender Handlung.

Es gibt auch Studien, die den Omission Bias an realen Therapieszenarien untersuchen. Ein Beispiel dafür ist eine Befragung von Intensivmedizinern und Lungenfachärzten, die bei einem Patienten mit drohender Lungenembolie eine
Entscheidung treffen sollten. Ihnen wurden zwei Optionen angeboten. Die meisten Ärzte wählten die defensive Option, die lediglich den Status Quo aufrecht erhielt (1). Sie schätzten das Risiko der Beibehaltung des Status Quo geringer ein, als das einer offensiven Therapie.


(1) Scott K. Aberegg / Edward F. Haponik / Peter B. Terry: „Omission bias and decision making in pulmonary and critical care medicine“. Chest. (2005) Volume
128, Issue 3, Pages 1497–1505