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Verlustaversion
(Rückseite Kalenderblatt September)
Der Psychologe Daniel Kahneman gilt zusammen mit seinem Kollegen Amos Tversky als Pionier der Forschung zum Thema kognitive Verzerrungen. Ihre Forschung hat letztendlich zu der Entwicklung der sogenannten Prospect-Theorie geführt. Die Arbeiten dazu gehören zu den meist zitierten Publikationen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Prospect-Theorie berücksichtigt (anders als die klassische Ökonomie, die vom Individuum als rationalem Entscheider ausgeht), dass Entscheidungen immer von subjektiven Wahrnehmungen, dem Weltbild der Entscheider und von Emotionen beeinflusst werden. Deshalb können mit ihrer Hilfe Verhaltensanomalien erklärt werden, d. h. Verhaltensweisen, die aus Sicht eines objektiven Beobachters nicht der Vorstellung einer rationalen Entscheidungen entsprechen.
Die Verlustaversion ist eines der Fundamente der Prospect-Theorie. Dieses Phänomen besagt, dass sich Menschen über einen Verlust (von z. B. 100 Euro) doppelt so sehr ärgern (rote gestrichelte Linie), als sie sich über einen Gewinn in gleicher Höhe freuen (grüne gestrichelte Linie). Die Prospect-Theorie drückt dies in der links abgebildeten Funktion aus.
Die Entdeckung der Verlustaversion geht auf den amerikanischen Psychologen
Colin Camerer zurück. Er ließ sich im Jahr 1996 mit einem Taxi von New
York City zum Flughafen fahren. Dabei kam er ins Gespräch mit dem Fahrer.
Er fragte ihn, was man im Small Talk halt so fragt, z. B. wie lange er im Durchschnitt arbeite. Die Antwort des Taxifahrers führte am Ende zur Entdeckung der Verlustaversion. Der Taxifahrer setzte sich jeden Tag ein bestimmtes Umsatzziel. Feierabend ist, wenn er das Ziel erreicht hat. So arbeitete er an manchen Tagen fünf Stunden, an anderen aber erheblich länger.
Im Rahmen einer Studie (1) stellte Camerer fest, dass die meisten Taxifahrer in New York nach diesem Prinzip arbeiteten und bereit waren an schlechten Tagen länger zu arbeiten (und einen geringeren Umsatz pro Stunde hinzunehmen), um
ihr Umsatzziel zu erreichen. Die Tabelle zeigt das an einem einfachen hypothetischen Beispiel. Um sein Umsatzziel von z. B. 100 Dollar zu erreichen, muss dieser Taxifahrer an einem „schlechten“ Tag 10 Stunden arbeiten, während
er an einem „guten“ Tag nach 5 Stunden Schluss macht. An schlechten Tagen hat er einen Umsatz von 10 Dollar pro Stunde.
Rationaler wäre es, an guten Tagen, wo er 20 Dollar pro Stunde einnimmt, 10 Stunden zu arbeiten und an den schlechten Tagen nur 5 Stunden. In beiden Fällen arbeitet er gleich viel, hat aber bei dem „rationalen Konzept“ mit 125 Dollar einen höheren Tagesdurchschnittsumsatz. Camerer kommt zu dem Schluss, dass die Verlustaversion der Grund für das (irrationale) Arbeitsprinzip der Taxifahrer ist. Der Begriff Verlustaversion beschreibt das Phänomen, dass
uns Verluste mehr schmerzen, als uns Gewinne in gleicher Höhe freuen.
Das Prinzip der Verlustaversion gilt als eine der großen Entdeckungen der Verhaltensökonomik und beeinflusst unser Verhalten in vielen Lebensbereichen. Ein bekanntes Beispiel ist die Aberkennung des Doktortitels bei Politikern und
Politikerinnen. Erinnerst Du Dich an die risikoreichen Strategien, mit denen sich manche Politiker gegen die Aberkennung gewehrt haben? Sie haben sich – trotz professioneller Beratung – mit ihrem Informationsverhalten Schritt für Schritt selbst demontiert und teilweise lächerlich gemacht. Auch die Werbung nutzt die Verlustaversion. Ein Klassiker sind Probeabos. Die Verlustaversion sorgt dafür, dass die meisten Menschen das Abo nach Ende der Probezeit nicht kündigen. Ähnliche Funktionen haben Premiummitgliedschaften, Goldcards etc. Viele Studien zeigen, dass die Verlustaversion auch zu falschen Entscheidungen im Umgang mit Aktien führen. So neigen Kleinanleger z. B. dazu, Wertpapiere,
die sich im Minusbereich befinden, nicht rechtzeitig zu verkaufen. Sie halten die Aktie in der Hoffnung, dass sie sich wieder erholt.
(1)Camerer, C., Babcock, L., Loewenstein, G., Thaler, R.: „Labor Supply of New York City Cabdrivers: One Day at a Time“, Quarterly Journal of Economics