Kognitive Verzerrungen als Ursache von
Fehldiagnosen in der Medizin

Die Abbildung rechts zeigt eine Systematik der Urteilsfehler, die zu falschen Diagnosen führen können. Die Urteilsfehler, auf die Berner und Graber die im Rahmen ihrer Studie dokumentierten Fehldiagnosen zurückführen (s.u.), sind vor allem die Selbstbestätigungsfalls (Confirmation Bias -> kognitive Leichtigkeit) und der Overconfidence Bias (falsche Selbsteinschätzung).

Genaue Zahlen kennt niemand. Die Schätzungen über die Anzahl falscher Diagnosen gehen weit auseinander. Eine der interessantesten Arbeiten dazu stammt von den amerikanischen Medizinern Eta Berner und Mark Graber. Nach der Auswertung zahlreicher Studien über falsche Diagnosen schwankt die Häufigkeit nach ihren Angaben, je nach Fachbereich, zwischen 2 und 12%.

Der amerikanische Psychologe Arthur Elstein, der sich sein gesamtes Forscherleben mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie Ärzte Entscheidungen
treffen, schätzt die Zahl der Fehldiagnosen gar auf 15%.

Eine Arbeitsgruppe des Johns Hopkins Armstrong Institute for Patient
Safety and Quality um den Mediziner David Newman-Toker
wollte herausfinden, bei welchen Indikationen die häufigsten Fehldiagnosen
gestellt werden. Die Daten für ihre Analyse stammen
aus der Datenbank des Comparative Benchmarking System (CBS)
der Controlled Risk Insurance Company (CRICO), die knapp 30%
aller US-amerikanischen Arzthaftungsansprüche enthält.
Von 7.379 schwerwiegendsten Fällen (53% dieser Fehldiagnosen
führten zum Tod der Patienten und Patientinnen) fielen die meisten
auf die drei Indikationsgebiet Krebserkrankungen, Gefäßerkrankungen
und Infektionen. Die Grafik zeigt zusätzlich die 5 häufigsten
Erkrankungen jeder Kategorie.


Bemerkenswert ist die Aussage der Autoren, dass mehr als 85% der
falschen Diagnosen auf der falschen Beurteilung von Informationen
basieren. Ein ähnliches Fazit ziehen auch die bereits erwähnten
Eta Berner und Mark Graber in ihrer Studie. Darin vergleichen
sie die Diagnosen von Patienten, die auf Intensivstationen gestorben
waren, mit den Obduktionsbefunden und evaluierten zusätzlich
das Ausmaß der Urteilssicherheit der Ärzte, die die Diagnose
gestellt hatten. Das Ergebnis: Kliniker, die sich ihrer Diagnose vollkommen
sicher waren, irrten in 40% der Fälle!



(1) Berner ES, Graber ML. Overconfidence as a cause of diagnostic error in medicine. Am J Med. 2008 May;121(5 Suppl):S2-23. doi: 10.1016/j.amjmed.2008.01.001. PMID: 18440350.

(2) Elstein, A. S., Schwarz, A. (2002). Clinical problem solving and diagnostic decision making: Selectivereview of the cognitive literature. BMJ: British Medical Journal, 324(7339), 729–732.